Deutschland sucht. Ach was, Deutschland hat gefunden. Den Poppstar. Alexandra Popp. Was für eine Popp-Show. Um es frei nach Michael Schanze zu sagen: „Popp, das heißt stop!“ Aber nur für die Gegnerinnen. Was schreibt die Kapitänin der deutschen Fußball-Frauen bei der EM in England für ein Märchen. Fünf Spiele. Sechs Tore. Zwei davon im Halbfinale. Sie besiegte beim 2:1 die starken Französinnen nahezu im Alleingang. Fehlt nur noch das Happyend im Endspiel am Sonntag gegen die Gastgeberinnen. England gegen Deutschland. Der Klassiker. In Wembley. Dem Mythos. Der Legende. Im Tempel des runden Leders. Vor rund 90 000 Fans. Ausverkauft. Natürlich. Mehr geht nicht.
Hey, hier kommt Alex. Fehlt nur noch ein Spiel. Zur Krönung. Der wahren Königin von England. Alexandra, die Große! Wembley-Tore? Gibt es diesmal nur von Popp. Versprochen!
Doch sie will gar keine Alleinunterhalterin sein. „Ich bin jetzt seit 10 Jahren Nationalspielerin. So einen Teamgeist habe ich noch nie gespürt“, sagt die Wolfsburgerin. Alle für eine. Eine für alle! Das ist das Motto der furiosen DFB-Girls, die für Euphorie sorgen. 12 Millionen saßen am TV. Marktanteil 47,2 Prozent. Wahnsinn. Ja, wir haben ein neues Sommermärchen!
Dabei grenzt es an ein Wunder, dass Popp überhaupt an den Titelkämpfen teilnimmt.
Die Angeiferin hat noch keine EM gespielt. Mit 31 Jahren. Ernsthaft. Verletzungen und zuletzt auch noch Corona trieben die Kapitänin fast zur Verzweiflung.
Als sich die Mitspielerinnen am 15. Juni im Trainingscamp in Herzogenaurach zum offiziellen Mannschaftsfoto aufstellten, stand das Schlimmste zu befürchten. Popp fehlte. Mal wieder.
Es ist nicht irgendein Turnier für die Wolfsburgerin. Sie ist zwar Olympiasiegerin und hat mit dem VfL alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt – eine EM hatte sie aber nicht gespielt.
Auf ihrer Geschichte schien bisher ein Fluch zu liegen. 2013 opferte sie ihre mögliche EM-Teilnahme, als sie mit einem Bänderriss im Sprunggelenk im Champions-League-Finale auflief. Vier Jahre später zog sich kurz vor der EM in den Niederlanden einen Meniskusriss und eine Außenbanddehnung im linken Knie zu. Und auch diesmal schien der Traum zu platzen. Im April 2021 verletzte sie sich schwer am Knie – Knorpelabriss an der rechten Kniescheibe. Es gibt nicht wenige Fußballerinnen, die nach so einer schweren Verletzung nicht mehr zurückkommen. Doch sie nahm den Kampf an. „Ich habe noch keine verdammte EM gespielt, und ich will diese EM jetzt spielen.“ Letztlich kam ihr Corona sogar zur Hilfe. Die Pandemie sorgte dafür, dass das Turnier um ein Jahr verschoben wurde. Im Januar schwoll ihr Knie aber erneut an, weshalb eine zweite Operation nötig war. Hinfallen. Aufstehen. Weitermachen. Sie schaffte es trotzdem. Bis zum Comeback in der Bundesliga dauert es mehr als zehn Monate, in der Nationalmannschaft machte sie nach 17 Monaten erstmals wieder ein Spiel. Ende der XXL-Leidenszeit.
Was wäre ich froh, wenn ein solches Mentalitäts-Monster bei den Männern meines Herzensvereins Hertha BSC spielen würde. Da müsste ich mir für die kommende Saison keine Sorgen machen. Vielleicht sollte ich Manager Fredi Bobic den Vorschlag unterbreiten. Popp ist ein Stehaufmädchen. Vorbild. Anführerin. Ein Muster an Willen und Leidenschaft. Noch nie schaffte es eine DFB-Spielerin in allen Spielen der EM zu treffen – Rekord!
Alles Leid ist vergessen. London calling! Weil Popp ein ganzes Team mit ihrer Energie angesteckt hat. „Niemand hat das hier von ihr erwartet. Aber sie ist so eine Kämpferin – auf und abseits des Platzes“, schwärmt Martina Voss-Tecklenburg. Die Bundestrainerin hatte die Torjägerin vor mehr als einem Jahrzehnt schon beim FCR 2001 Duisburg trainiert und schätzt die willens- und durchsetzungsstarke Spielerin. „Poppi stirbt ja für jemanden auf dem Platz. Poppi gibt einfach immer alles.“
Die Hochgelobte kann ihr Glück nicht fassen: „Ich kann alles hier viel mehr erleben, die Momente noch mehr genießen. Die Möglichkeit so zu performen, im richtigen Moment fit zu sein, ist fantastisch. Ich muss so vielen Menschen danken. Jetzt macht es keinen Sinn mehr, zu verlieren. Das Finale schon gar nicht. In Wembley. Etwas Schöneres gibt es nicht.“
Ständig fühle ich mich – leicht genervt – in den letzten Tagen angesprochen. Egal, wo ich bin. Schließlich ist mein Spitzname Toppi. Überall höre ich ihn. Bis ich dann festelle, dass gar nicht ich in aller Munde bin, sondern Poppi. Völlig zu Recht. Dann strahle ich mit ihr um die Wette.
„Kein Schwein hat mit uns gerechnet“, sagt sie. Und kann eine gewisse Genugtuung nicht verbergen.
Sie steht auf Schlager. Ballermann. Passt ja. Und ganz Deutschland inzwischen auf Poppmusik. Popp, der Top-Hit. Die Chartstürmerin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hätte da einen Vorschlag für den Kabinen-DJ: „Das alles, und noch viel mehr, …“, sang dereinst der legendäre Rio Reiser. Dichten wir den Song um: „… würde Alex machen, wenn sie Königin von Deutschland wär!“ Denn das wird sie. Da bin ich mir sicher. Ein Flop mit Popp? Unmöglich! Am Sonntag steht sie auf dem Gipfel. On top. Wie man auf der Insel sagt. Stopp ist für diese Frau ein Fremdwort. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Popp, die Wette gilt…
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nick Potts
Ronald Toplak, geboren am 5. Februar 1965 in Berlin, ist seit über 30 Jahren im Sportjournalismus für verschiedene Hauptstadt-Medien tätig. 25 davon als Redakteur beim Berliner Kurier. Er schreibt – nach einer gesundheitlichen Auszeit – nun als freier Autor.