Ein pechschwarzer Tag. An dem ich noch zu knabbern habe. Nach einer schlaflosen Nacht. Historisches WM-Aus! Erstmals sind die deutschen Damen schon in der Vorrunde nach einem 1:1 gegen Südkorea im finalen Gruppenspiel ausgeschieden. Frustration, lähmendes Entsetzen, gepaart mit ungläubiger Fassungslosigkeit – so die allgemeine Stimmungslage. Und das ist noch freundlich ausgedrückt. Nach den Herren blamierten sich also auch die Frauen bis auf die Knochen. Dazu kommt noch das klägliche Scheitern der U21-Bubis, ebenfalls vor der K.o.-Phase. Der DFB am Boden! Ganz unten. Tiefer kann man nicht fallen. Deutschland ist nicht mehr Deutschland. Dabei hatten die Damen nach der Vize-Europameisterschaft 2022 so große Hoffnungen geweckt. Umso größer die Enttäuschung. Sommermärchen? Schland hat abgedankt!
13.25 Uhr: WhatsApp von meiner Schwester: „Frauen? WM? Ich Büro!“ „Fast raus!“ Meine Antwort. Kurz darauf war das Horror-Szenario Wirklichkeit. Ich tippte den Endstand. Und starrte minutenlang wie paralysiert auf den Fernseher. Ich! Wollte! Es! Nicht! Glauben! Sie wollten um den Titel mitspielen. Ich war auch fest davon überzeugt. Und! Dann! Das! Ohnmacht. Was ist da gerade passiert? Ich war orientierungslos. Leere. Unverständnis. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ernüchterung, vor allem nach dem furiosen Auftaktsieg. Marokko, das im ersten Spiel gegen die DFB-Damen 0:6 unterging, besiegte überraschend die Auswahl Kolumbiens 1:0, die wiederum Deutschland gerade 2:1 besiegt hatte. So starb auch die letzte Hoffnung auf ein Weiterkommen durch dir Hintertür. Schockstarre. Nicht die Damen des DFB, sondern die erst kürzlich nach allen Regeln der Kunst vorgeführten Nordafrikanerinnen stehen nun sensationell im Achtelfinale gegen Frankreich. Mit einem Torverhältnis von 2:6. Unglaublich! Alles irgendwie surreal. „Ich kann das nicht greifen, verstehen, was hier abgeht“, sagte Kapitänin Alexandra Popp, der Verzweiflung nahe. Sie kämpfte mit den Tränen. Nur die Stürmerin lieferte. Zuverlässig. Wie immer. Zu wenig. Bis auf Popp alle ein Flop!
Sicher, das Spielglück fehlte. Wie es zum Beispiel Rekordweltmeister USA hatte, als Portugal in der Nachspielzeit nur den Pfosten traf. Zentimeter entschieden darüber, dass die US-Girls nicht die Heimreise antreten mussten. Lamentieren bringt nichts, darf schon gar keine Ausrede sein. Weil für die hochgelobten deutschen Frauen Cleverness ein Fremdwort war. Die Pleite gegen Kolumbien in der 7. Minute der Nachspielzeit als unnötig zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Für mich aus deutscher Sicht der entscheidende Nackenschlag des Turniers. Schon da war der Vorschusslorbeer welk. Dabei waren sie für den DFB angetreten, eine Serie von Peinlichkeiten männlicher Auswahl-Teams bei großen Turnieren zu beenden. Euphorie zu entfachen, für die Heim-EM der Herren im kommenden Jahr. Denkste! Ein Albtraum. Das Aufwachen ist brutal.
Im Prinzip sind die Damen eine Blaupause der Männer. Top ausgebildete Spieler*innen, die ihr unbestritten vorhandenes Potenzial nicht auf den Rasen bringen, auf Gegenwehr mit totaler Hilflosigkeit reagieren.
Aus dem erhofften Lichtblick nach dem Versagen der Männer wurde nichts. Düstere Wolken. Finsternis total. Zappenduster ist angesagt.
Kopfsache, meiner Meinug nach. Ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn die Frisur für den Social-Media-Post wichtiger ist als das nächste Training, die Aufgabe im Büro oder die bevorstehende Klausur, hat das eben Konsequenzen.
Auch bei den DFB-Damen haben elementare Grundvorausetzungen gefehlt: Einstellung zum Spiel, Laufbereitschaft, Kreativität, und Zweikampfbereitschaft. Die Siegermenatlität, einst ein weltweit bewundertes Markenzeichen deutscher Teams, ist verloren gegangen.
Logisch! Meiner Meinung nach. Mädchen und Jungs wird schon in den Nachwuchszentren alles abgenommen, sie müssen selbst keine Konflikte mehr lösen. Eigenverantwortung? Unnötig. Dafür gibt es ja einen nahezu allumfassenden Betreuerstab. Wie sollen sie dann auf dem Platz plötzlich ohne Hilfe Entscheidungen treffen, Schwierigkeiten bewältigen? Die umjubelte Vizeeuropameisterschaft im vergangenen Jahr, als sich die Frauen in einen Rausch spielten, kaschierte nur die für Insider durchaus bekannten Probleme. Vor allem, den Gegnerinnen etwas entgegen zu setzten. Dem Druck nicht im Ansatz gewachsen, unter der Last zerbrochen. Beim geringsten Widerstand verkrampfte das Team. Das Spiel gegen Südkorea war ein Offenbarungseid. Engagement, Leidenschaft. Willensstärke. Diese Charaktereigenschaften zeigten nur die fußballerisch limitierten Asiatinnen. Das reichte aber, um für den nächsten schweren Stimmungsdämpfer beim DFB zu sorgen. Deutschland ist krachend aus dem WM-Championat ausgeschieden.
Fakt ist, dass unsere Fußballer*innen wieder lernen müssen, sich durchzusetzen. Lösungen zu finden. „All-In-Mentalität“, nennt das Herren-Bundestrainer Hansi Flick. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Eine andere Selbstwahrnehmung muss her. Weltklasse, das war gestern. Der einst gefürchtete Mythos Turniermannschaft ist nur noch ein längst verglühter Stern. Jetzt stecken also auch die Damen im Strudel des Versagens. Der deutsche Fußball ist spätestens mit diesem nächsten Tiefschlag kein globales Flaggschiff mehr, sondern ein Beiboot. Wenn überhaupt. Mittelmaß. Man muss aufpassen, den Anschluss an die Weltspitze nicht vollkommen zu verlieren. „Uns fehlten die Basics“, sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ratlos. Und ließ ihre Zukunft offen. Das Vorrunden-Aus als Déjà-vu-Erlebnis ist kein Zufall. Deutschland war mal eine große Fußballnation. Bei Frauen und Männern. Die Betonung liegt auf WAR! Der Riese ist nur noch ein Zwerg. Willkommen in der Realität.
Eine gerade erst mit Heroen der Branche prominent besetzte Task Force sollte den DFB in eine bessere Zukunft führen.
Aufbruchstimmung ist anders. Das nicht erwartete Desaster der Frauen ist der endgültige Super-Gau. Mädels, schaut euch Jamaika, Südafrika oder Marokko an, die um ihr Leben rannten, um das Unmögliche zu schaffen. Die Auswahl des DFB spielte dagegen larmoyant, behäbig, selbstgefällig. War zudem entgegen dem eigenen Selbstverständnis äußerst nervenschwach. Besonders bitter ist das Aus, weil es unbestritten viele sehr begabte Spielerinnen im Kader gibt. Auch das ist übrigens eine auffällige Parallele zu den Männern.
Die Konsequenz ist eine emotionale Abkehr der Fans von den Nationalteams. Klar, denn der Status quo ist ein Armutszeugnis. Trümmerhaufen DFB. Der wird sich nicht neu erfinden, dafür ist er zu groß, zu schwer, zu mächtig. Aber was für alle Mannschaften gilt, sollte auch für den Verband selber gelten: Kommt, verdammt nochmal, endlich runter von eurem turmhohen Ross. Sofort! Der größte Sportverband der Welt muss die völlig verkrusteten Strukturen endlich aufbrechen. Ausreden darf, kann es nicht mehr geben. Sonst endet auch die Heim-EM der Männer erneut in einer sportlichen Katastrophe. Derzeit muss man ja von Glück sagen, dass man sich als Gastgeber für das kommende Großereignis nicht qualifizieren muss.
Ich jedenfalls habe an den kickenden Damen und Herren im Trikot mit den Bundesadler keinen Spaß mehr, aber eine Alternative in Sachen nationale Interessengemeinschaften im Ballsport gefunden: Faustball! Damen und Herren sind amtierende Weltmeister*innen. Im Abo. Ohne exorbitante Prämien. Was zählt, sind alleine Kampf, Wille, Begeisterung. Für diesen Sport braucht es nicht nur Leidenschaft, Technik und viel Training, sondern auch eine gute Portion Idealismus. Lohn ist der Applaus. Vielleicht noch einen Schlag mehr aus der Gulasch-Kanone zum Mittag. Werte, die den umsorgten Profis immer mehr verloren gehen. Die Hand als Hammer, das ist der Hammer! Wie über 10000 Fans am vergangenen Wochenende beim WM-Finale der Herren in Mannheim bewiesen haben. Spannende Wohlfühl-Performance. Motivation bis in die Haarspitzen. Das Spiel spüren, fühlen. leben. Mit jeder Faser des Körpers, der Seele, des Herzens. Ein ehrlicher, purer, nahbarer Wettkampf. Wo Arroganz ein Fremdwort ist. Das macht deutlich mehr Spaß, als behäbigen, uninspirierten, sogenannten Stars beim Fußball zuzuschauen. Weil beim Faustball die Qualitäten gezeigt werden, die das mit Töppen den Kunststoffball bolzende DFB-Personal zuletzt schmerzlich vermissen ließ.
Foto: picture alliance / DeFodi Images | Sajad Imanian
Ronald Toplak, geboren am 5. Februar 1965 in Berlin, ist seit über 30 Jahren im Sportjournalismus für verschiedene Hauptstadt-Medien tätig. 25 davon als Redakteur beim Berliner Kurier. Er schreibt – nach einer gesundheitlichen Auszeit – nun als freier Autor.