La Pulga. Der Floh. Für unseren Autor Ronald Toplak ist Lionel Messi (1,69 m/67 kg) der Allergrößte. Er wünscht dem 35-jährigen Fußball-Virtuosen aus Argentinien im Finale der WM am Sonntag gegen Frankreich den ultimativen Titel. Es wäre die verdiente Krönung einer fantastischen Karriere.
Herr Messi, ich bin neidisch. Ich wäre gerne einer wie Sie. Auch ich träumte davon, ein Superstar zu werden. Einmal im vollbesetzten Olympiastadion vor der Fankurve von Hertha BSC gefeiert zu werden. Ich übte täglich auf dem Bolzplatz, auf jeder zur Verfügung stehenden Fläche. Rasen. Sand. Beton. Schotter. Egal. Vor der Schule. In der Schule. Nach der Schule. Der Ranzen diente als Torpfosten. Los ging’s. Leider streifte mich Ihr Talent nur peripher. Besser gesagt, überhaupt nicht. Ich hatte keines. So sehr ich mich auch mühte, Vorbildern nacheiferte, die in meiner Generation noch Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Gerd Müller hießen.
Es nutzte nichts. Es reichte nur zum eher grobmotorisch veranlagten Zerstörer. Ich war ein Abwehr-Raubein. Freundlich ausgedrückt. Vorstopper nannte man das damals. Köpfen konnte ich. Was sicher einiges erklärt. Hart schießen auch. So trat ich vornehmlich bei Abstößen positiv in Erscheinung. Hoch und weit getreten. Filigran ist anders. Wahrscheinlich hätte ich im American Football einen passablen Kicker abgegeben. Andere Geschichte.
Zurück zu Ihnen, Herr Messi. Mit Spielern wie Ihnen wäre ich nicht zimperlich umgegangen. „Der muss nach zwei Minuten liegen“, sagte mein Torwart immer zu mir, „sonst führt er dich am Ring durch die Manege!“ Gesagt, getan. Ich setzte zur Blutgrätsche an. Reiner Selbstschutz. Finstere Blicke. Böse Sprüche. Einschüchterungs-Taktik in Vollendung. Trashtalk nennt man das heutzutage. Die totale Demütigung blieb mir so zumeist erspart, der Knoten in meinen Beinen war am Ende nicht ganz so groß.
Dennoch, Herr Messi, ich bewundere Spieler wie Sie. Tanzen ist träumen mit den Füßen. Sie sind der, der mit dem Ball tanzt. Tango gegen Pogo sozusagen.
Sie, Herr Messi, sind ein Messias. Ein Heilsbringer in Töppen. Die schönsten Momente sind die, in denen der Applaus ausbleibt. Wenn die Zuschauer so sehr mit sprachlosem Staunen beschäftigt sind, dass nicht mal mehr aus Höflichkeit geklatscht wird. Ihr Zauber lässt mich an Wunder glauben. Sie stellen die Welt auf den Kopf und setzen Naturgesetze außer Kraft. Einen Wimpernschlag lang die reale Welt verlassen, um in die Welt von Magie und scheinbar übersinnlichen Kräften abzutauchen. Das machen Sie, Herr Messi, möglich. Man vergisst Zeit und Raum. Ästhetisch. Grazil. Anmutig. Eine geschmeidige Ballannahme, zwei, drei Tippelschritte, dann liebkosen Sie den Ball so gefühlvoll, wie es sich manche Frau von ihrem Partner wünschen würde.
Weltklasse? Eine Untertreibung! Ihre Leistung im Halbfinale gegen Kroatien war in jedem Fall episch. Ein Jahrhundert-Auftritt, der beim 3:0 vor allem bei Ihrem nahezu außerirdischen Solo vor dem dritten Tor die Fans im Lusail Iconic Stadium und weltweit an den Fernsehschirmen aus den Sitzen riss. Sie umkurvten die überforderten Kontrahenten wie einst Ski-Ass Christian Neureuther beim Slalom die Stangen auf der Streif. Selbst die Entwickler landläufig bekannter Computerspiele hätten Probleme, einen Charakter wie Sie zu erschaffen.
Und doch: In Ihrer Heimat Argentinien werden Sie zwar vereehrt. Sie haben auch fast alles gewonnen. Sogar mehrmals. Aber eben nur fast. Denn der größtmögliche Titel fehlt. Um von den Fans der Albiceleste als Fußball-Gott angebetet zu werden, müssen Sie Weltmeister werden. Nur dann treten Sie aus dem riesigen Schatten der leider viel zu früh verstorbenen Ikone Diego Armando Maradona.
Der alte Mann und das Mehr. Sie sind inzwischen 35 Jahre alt. Es ist Ihre fünfte und letzte WM. Das haben Sie vor dem Finale verkündet. Ihr Ziel ist es, mit dem Titel abzutreten! Das würde Sie dann endgültig auf eine Stufe mit dem Nationalhelden stellen.
Herr Messi, Sie spielen zu sehen, ist wie ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Ein bisschen Gebäck hier, ein paar Mandeln dort. Man kann gar nicht aufhören zu naschen, fühlt sich, als hätte man einen Glühwein zu viel getrunken. Wie im Rausch. Bei ihnen gerate ich, der Rumpelkicker, wieder ins Träumen. Davon, wie es wäre, wenn ich, ach, lassen wir das.
Der Weihnachsstern kann nur im Dunkeln leuchten. Sie sind der Scheinheilige dieser Tage. Im positiven Sinne. Sie lassen eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist, für ein paar Glücksmomente erstrahlen. Abschalten von Krieg, Pandemie, Klimawandel, Energiekrise. Zeitenwende, wenigstens für 90 Minuten. Oder etwas länger.
Ich habe Pele, Beckenbauer, Maradona, Johan Cruyff, Lothar Matthäus, Cristiano Ronaldo oder Jungstar Kylian Mbappé (23), Ihren kongenialen Klubkollegen bei Paris Saint-Germain, spielen sehen. Letzterer verkörpert die neue Generation der Ballvirtuosen, könnte im Endspiel am Sonntag zum Stolperstein werden. Er will mit Frankreich den Titel verteidigen. Was zuletzt Brasilien vor 60 Jahren gelang. Ich wünsche Ihnen, Herr Messi, dass Sie den Pokal in den Nachthimmel recken. Endlich. Nach ihrem 26. WM-Spiel, womit Sie Matthäus als Rekordhalter ablösen. Sie sind ein Geschenk, Herr Messi. Es wäre eine im wahrsten Sinne des Wortes schöne Bescherung. Die verdiente Krönung der Karriere des Besten der Besten. Aller Zeiten! Denn das sind Sie für mich, Señor Messi. Ohne Frage!
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Ronald Toplak, geboren am 5. Februar 1965 in Berlin, ist seit über 30 Jahren im Sportjournalismus für verschiedene Hauptstadt-Medien tätig. 25 davon als Redakteur beim Berliner Kurier. Er schreibt – nach einer gesundheitlichen Auszeit – nun als freier Autor.